Gibt es die perfekte Familie? Wie oft hätten wir sie gern. Papa und Mama, die einfach für einen da sind. Einen Ort, wo man so sein darf, wie man ist. Philipp (Name geändert), 30, weiß, wie es ist, wenn es nicht so ist. Sein Papa hat die Familie verlassen, als er sieben war. Im Gespräch hat er uns erzählt, wie es ihn geprägt hat, ohne Vater aufzuwachsen.

Text: Oni Lanzerstorfer

„Mein Papa war zuhause, bis ich 7 Jahre alt war. Dann, von einem Tag auf den anderen, war er weg…“

In meinem Umfeld waren Scheidung und Trennung voll normal. Auch kenne ich einige Fälle, wo der Vater einfach irgendwann mal weg war. Und weil es so normal wirkte, habe ich mir die Frage gestellt, ob mir das überhaupt wehtun darf. Man wird beinahe komisch angeschaut, wenn seine Eltern ein Leben lang zusammen sind. Deswegen habe ich mir lange eingeredet: Es sitzt ja eh jeder im selben Boot, kann ja nicht so schlimm sein.

„Ich war total zerfressen von Selbstzweifeln. Ich dachte, ich sei einfach komisch.“

Was das in mir ausgelöst hat, habe ich erst in der Pubertät gemerkt. Ich war total zerfressen von Selbstzweifeln. Als Baby ist man im Bauch der Mutter, man ist eins mit der Mutter. Der Vater ist die erste Erfahrung, die man mit der Außenwelt hat. Deswegen hängt, wie man sich in der Welt sieht und mit ihr interagiert, sehr stark damit zusammen, was man für ein Vaterbild hat. Obwohl ich gut in der Schule, beliebt, musikalisch und sportlich war, war ich so überzeugt davon, dass ich nichts kann. Als Teenager habe ich eine Essstörung entwickelt und wäre nie auf die Idee gekommen, dass das etwas mit meinem Vater zu tun haben könnte. Ich dachte, ich sei einfach komisch.

„Ich habe immer nach etwas gesucht, das mir sagt: Du bist gut und angenommen.“

Während eines Krankenhausaufenthaltes kam mein Vater zu Besuch. Ich hatte ihn zu der Zeit seit Jahren nicht mehr gesehen. Als er da war, habe ich plötzlich ganz normal gegessen und geschlafen, als wäre nie etwas gewesen. Auch mein Umgang mit Frauen war schon als Kind ganz ungesund. Meine ersten Erfahrungen mit Mädchen hatte ich mit 10, also viel zu früh. Ich war noch ein Kind, habe aber gelebt wie ein Erwachsener. Die Bestätigung und Annahme, die ich von meinem Vater nicht bekommen habe, habe ich bei Mädchen, Partys, Alkohol und auch leichten Drogen gesucht. Ich habe immer nach etwas gesucht, das mir sagt: Du bist gut und angenommen.

„Manchmal war ich sogar in der Schule betrunken.“

Später, als Erwachsener, habe ich verstanden, dass all das daher kommt, weil ich keinen Vater hatte, der mir diese Wahrheiten zuspricht. Viele sagen heute, dass es egal ist, ob man Mutter und Vater hat oder nicht. Wenn ich auf mein Leben schaue, weiß ich, dass es nicht egal ist. Ich habe mir sehr schwer getan mit männlichen Autoritätspersonen, wie Lehrer usw. Den Bezug zu männlichen Vorbildern habe ich nicht gecheckt. Meine Vorbilder waren dann Rockstars wie Kurt Cobain. Ich habe meine Ängste durch einen exzessiven Lifestyle betäubt – von einer Party zur nächsten. Manchmal war ich sogar in der Schule betrunken.

„Ich kannte Gott nicht, aber ganz intuitiv, habe ich nach ihm gerufen: Heile mich!“

Gott hat in meinem Leben nie eine Rolle gespielt, Kirche war nie ein Thema. Aber trotzdem habe ich während meiner Essstörung, ohne zu wissen, wer Gott ist, ein Gebetsheft selbst geschrieben. Ich kannte ihn nicht, aber ganz intuitiv, habe ich nach ihm gerufen: „Gott heile mich.“ Als Teenie war ich dann viel in der Metal-Szene unterwegs. In einer sehr dunklen Szene. Obwohl ich ihn vergessen habe, ist er zu mir gekommen. Als ich 17 war, habe ich während des Sommers auf einer Baustelle gearbeitet und da war ich mit einem Typen bis zu 12 Stunden am Tag zusammen in einem LKW. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gerade ein „Hell-Festival“ gegründet. Ich habe ihm davon erzählt und wir sind ins Reden gekommen. Was ich nicht wusste, war, dass er Christ war. Er hatte Antworten auf meine Fragen. Er hat mir eine Bibel geschenkt.

„Mein Leben hat sich auf den Kopf gestellt. Und das in kürzester Zeit.“

Ich habe gelernt, dass Jesus lebendig ist, einen Plan für mich hat und mich zum himmlischen Vater führt. Es war nicht einfach, das alles aufzuarbeiten. Ich musste zuerst den Weg der Anklage und dann der Vergebung gehen. Irgendwann habe ich verstanden, dass Gott ein guter Vater ist und er meine Heimat ist. Dass ich keinen Vater hatte, hat mir geholfen zu realisieren, dass ich einen Vater brauche. Wir haben alle dieses Loch im Herzen, das nur Gott Vater füllen kann, egal wie gut unser leiblicher Vater ist. Es war ein Prozess, von neuem in die Familie Gottes geboren werden. Er spricht mir, seinem geliebten Sohn, zu: „Ich freue mich über dich. Ich bin stolz auf dich.“ Das hat mein Leben verändert.

„Manchmal denke ich mir, es ist unmöglich, ein guter Vater zu sein.“

Studien zeigen, dass Babys sterben, wenn sie keine Zuneigung bekommen. Wir Menschen brauchen Wärme, Zuneigung und Geborgenheit. Aber wir müssen auch rauskommen aus der Schale, über uns hinauswachsen. Das kommt hauptsächlich vom Vater. Wenn du in dieser Welt selbstbewusst leben willst, brauchst du den Zuspruch des Vaters, dass du gut bist, so wie du bist. Ein Vater, der dich herausfordert, der dir Grenzen setzt und dir den Weg zeigt. Ich habe früh geheiratet, mit 21, und ich habe von der ersten Sekunde an gewusst, dass ich es mir nicht leisten kann, mich gehenzulassen. Für mich ist der erste Schritt, ein guter Vater zu sein, an sich zu arbeiten. Ich muss wissen, wer ich bin, damit ich einmal meinem Kind sagen kann, wer es ist, und ihm seinen Wert zusprechen kann. Manchmal denke ich mir, dass es unmöglich ist, ein guter Vater zu sein. Aber ich möchte einfach da sein mit allem, was ich bin, meiner Zeit, Kraft, meinen Worten und Ressourcen.