In Kärnten, Tröpolach, strömte vor ein paar Wochen das leise Schlurfen tanzender Füße, schaugespielte Rufe, Gesang und am Ende Applaus aus den offenen Türen des Sporthotels Leitner. Jugendliche aus Palästina, Deutschland, Israel und Österreich hatten sich im Zuge des Projekts “Knüpfwerk – Eine musikalische Jugendvernetzung” eine Woche daran gemacht aus Text, Skript und Noten eine Musical-Aufführung zu zaubern. Über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg, miteinander an einem großen Ganzen zu wirken und die Einzigartigkeit des Gegenübers und deren Religion zu entdecken.

Knüpfwerk
Jugendliche aus unterschiedlichen Religionen probten eine Woche lang die Tänze, Lieder und Dialoge des Musicals „HIOB“ – eine Geschichte, die sich in vielen religiösen Traditionen findet und Themen anspricht, die uns alle verbinden.

Wochen sind seit dem finalen Auftritt vergangen, die Menschen drängen sich in der späten Nachmittagssonne um den Eingang der U-Bahn-Station “Stadtpark” an der Johannesgasse in Wien, als sich Marianne, eine Teilnehmerin aus Palästina, und Xaver, einer der österreichischen Animatoren des Camps, in die Arme laufen.

Marianne: Xaver?

Xaver: Marianne!? Wie… Was verschlägt dich nach Wien?

(Die beiden umarmen sich herzlich.)

Du hast mir gar nicht gesagt das du kommst!

Marianne: Tut mir Leiiid! Wir hatten in der Schule viel zu tun und die Zentralklausuren haben sich auch nicht von selbst geschrieben. Im Stress habe ich komplett vergessen mich im Vorhinein zu melden, aber heute Abend nach dem Auftritt wollte ich dir schreiben, ob wir gemeinsam was unternehmen.

(Marianne tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen und umklammert die Träger ihrer Instrumententasche.)

Xaver: Kein Problem, solange du dich noch gemeldet hättest. Was hast du für einen Auftritt?

Marianne: Ich spiele bei einem Fagott-Wettbewerb hier in Wien. Ich könnte aber noch ein paar Minuten rausschlagen, bevor ich mich darauf vorbereiten muss.

Xaver: Sehr cool. Wir können ja noch ein bisschen im Park spazieren.

(Die beiden gehen in Richtung Stadtpark.)

Wie kommst du zu einem Wettbewerb nach Wien?

Marianne: Mit meiner Musikschule, mit der ich auch zum Knüpfwerk-Camp gekommen bin. Ich habe in Israel gewonnen und darf jetzt in Wien bei der europäischen Auswahl dabei sein.

Xaver: Wow, alle Achtung. Aber dass ihr musikalisch seid, hab ich so gaaanz nebenbei schon mitbekommen.

Marianne: Haha, aber beim Camp war ich im Tanzteam und nicht bei Gesang oder in einer der Solo-Rollen.

Knüpfwerk 2
Für die Proben wurden die Teilnehmer:innen in Tanz, Gesang und Schauspiel eingeteilt. Marianne (links im Bild) lernte in kurzer Zeit die Choreografien für das Abschlussmusical. Wenn nicht gerade geprobt wurde, gab es in Workshops viel Möglichkeit, sich über Themen wie Hoffnung, Würde oder Identität auszutauschen.

Xaver: Touché.
Wie hat dir das Tanzen eigentlich gefallen?

Marianne: Gut. Ich hatte selten so viel Spaß, während wir gleichzeitig echt etwas weitergebracht haben. Die Choreografien in so kurzer Zeit zu lernen war zwar ein bisschen stressig, aber das hat der Spaß am gemeinsamen Arbeiten wieder wettgemacht. Du warst in keiner der “artistic groups”, oder?

Xaver: Nope, ich hatte ein paar andere Aufgaben. Viel organisatorisch im Hintergrund, so die kleinen Dinge, die man im Vorhinein nicht sieht und die dann doch gemacht werden müssen.

Marianne: Und die Props.

Knüpfwerk 3
Das Musical „HIOB“ bildete den Abschluss der gemeinsamen Zeit. Hiobs Familie kann es kaum glauben als in Hiobs Augen, nachdem er extremes Leid erlebt hat, plötzlich wieder ein Hoffnungsschimmer aufblitzt. Was er bloß erlebt hat, dass er die Welt mit so viel Liebe sehen kann?

Xaver: Ja, die Requisiten und die Kostüme habe ich mit Elfi zusammen vorbereitet, aber am meisten habe ich mich wahrscheinlich in den Workshops gefunden.

Marianne (schelmisch):  Ja sicher, der Philosophiestudent, natürlich!

Xaver: Haha.

Marianne: Aber stimmt schon, vor allem das „Compassionate-Listening“ mit Anja war einfach genial. Reden können, ohne unterbrochen zu werden und dann einmal wirklich nur zuhören was einem erzählt wird, hat mich die anderen viel besser kennenlernen lassen.

(mehr zu sich selbst) Hm, dass vermiss ich auch am meisten.

Xaver: Was?

Marianne: Dass einem alle das Gefühl gaben, einfach so sein zu dürfen, wie man ist, ohne sich ständig Gedanken machen zu müssen, was die anderen jetzt schon wieder über einen denken. Man konnte einfach ganz man selbst sein.

Knüpfwerk 4
„Compassionate Listening“ war eine der Übungen der Workshops. Ein anderes Mal schrieben die Teilnehmer:innen kurze Definitionen zu Wörtern wie Hoffnung oder spielten im Improvisationstheater Szenen aus ihrem Leben, die kurzerhand in eine andere Richtung gelenkt werden konnten.

Wie war das eigentlich für dich?

Xaver: Wie meinst du?

Marianne: Naja, so als Animator hattest du ja auch eine Rolle, die du einnimmst oder nicht?

Xaver:   Ehrlich gesagt, hat es sich nicht so angefühlt. Natürlich hatten wir Verantwortung, aber ich hatte nie das Gefühl anders sein zu müssen und ich konnte meine Aufgaben mit dem bewältigen, was ich mitgebracht habe. Alle im Team haben das gemacht was sie gut konnten und am Ende sind unsere Fähigkeiten wie ein Mosaik zusammengefallen, ohne dass sich jemand verstellen hätte müssen.

(kleine Pause)

Ich wollte dich schon seit dem Camp etwas fragen, so ganz in der Rolle als Animator …
Wenn du dir was mitgenommen hast, was ist es?

Marianne (heiter): Du und deine Fragen.
(Nachdenklich) Hmm. Neue Freunde und dass man immer wieder neue Leute treffen kann, die das eigene Weltbild über den Haufen werfen, egal ob jetzt ein Animator so wie du, andere Jugendliche, bei denen man nach ein paar Tagen glaubt, sie schon ewig zu kennen, oder vielleicht sogar Hiob.

Xaver: Hiob?

Marianne (sarkastisch): Der Hauptcharakter des Musicals?

Xaver (heiter, sarkastisch): Ja, das habe ich mir gerade noch so gemerkt. (normal) Ich meine, was hast du dir von Hiob mitgenommen?

Marianne: Naja, ehrlich gesagt, haben wir es schon ziemlich gut. Meine Familie und ich leben in Jerusalem, wir können auf eine gute Schule gehen, nach Europa reisen und an Wettbewerben teilnehmen und trotzdem jammern wir bei jeder Kleinigkeit rum. Im Vergleich zu dem, was Hiob an Schlechtem passiert ist, geht es uns wirklich gut und doch geben wir unseren Glauben an das Gute schneller auf als er.

Die beiden drehten weiter ihre Runde im Park und sagten für einige Zeit nichts, während die Wien unterhalb vorbeiplätscherte.

Marianne: Was vermisst du?

Xaver: Euch, also alle die dabei waren. Ihr habt das Camp zu dem gemacht was es war. Wenn ihr uns erinnert habt in den Pausen zwischen den Arbeiten herzhaft zu lachen, am Lagerfeuer laut, falsch und mit Begeisterung mitzusingen, oder uns einfach durch euer Mitmachen motiviert habt.

Knüpfwerk 5
Jede Menge Spaß und Zeit zum Ausgelassensein gab es bei den Freizeitaktivitäten wie Lagerfeuer, morgendlichen Spaziergängen, Baden im nahgelegenen See oder spontanen Kreistänzen.

Marianne: Awww… Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass irgendjemand falsch gesungen hätte!

Xaver: Haha. Nein, nicht wirklich, dass ist nur so eine Redewendung.

(Pause)

Marianne: Ich will wieder zurück.

Xaver: Ich auch.

(kleine Pause)

Marianne: Was machst du heute, mmmh, so in drei Stunden?

Xaver: Noch nichts, wieso?

Marianne, (strahlend): Wir könnten uns das Musical nochmal ansehen, ist ja eh auf YouTube!

Xaver: Ja, klar! Treffen wir uns um Sieben bei mir? Ich kann auch noch die anderen fragen, falls jemand in Wien ist.

Marianne: Super (sieht auf ihre Uhr), aber ich sollte mich jetzt wirklich auf den Weg machen.
Wir sehen uns später!

(Die beiden umarmen sich)

Xaver: Bis später, und viel Erfolg bei deinem Wettbewerb, Marianne!

Nach einem erfolgreichen Wettbewerb und einigen Anrufen, fand sich eine Gruppe Freunde zusammen und sah sich miteinander nochmals die Aufführung des Musicals an.

Knüpfwerk 6
Das Musical berührte Menschen von nah und fern, konnte von den Familien der Teilnehmer:innen via Livestream mitverfolgt werden und ist auch jetzt noch auf YouTube zu finden.

Was sie verbindet ist nicht nur die gemeinsam verbrachte Zeit oder die Gespräche, sondern die Erfahrung, dass man, egal woher man kommt oder welchen Hintergrund man hat, doch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede findet.

Hiob – Where are you father?

Text: Xaver Seiringer & Marianne Baddour

Zum Camp lud der Verein The Upper Room ein, der sich vor allem in Österreich und Indien für Bildung, sowie interreligiösen und interkulturellen Dialog einsetzt. Näheres unter www.upper-room.info oder auf Facebook (The Upper Room)