Jedida Bredl engagiert sich ehrenamtlich bei „lightup“, einer Organisation, die über heutigen Menschenhandel informieren möchte. Einer der Hauptfaktoren dabei spielt die Pornografie, ein Geschäft mit hohen Umsätzen. Chefredakteur Michi Cech hat sich mit ihr für ein Gespräch getroffen.

Michi: Du gehst mit eurer Organisation in Schulen und ihr wollt auf das Thema Menschenhandel aufmerksam machen. Es ist echt überraschend, dass Menschenhandel heute noch so ein Problem ist. Bei diesem Begriff denken wir vielleicht eher an historische Filme über Sklaven und so. Aber heute?

Jedida: Weißt du, dass es heute mehr Menschenhandel gibt als zu Zeiten, wo die Sklaverei noch nicht abgeschafft war? Ein großes Thema hier ist die Prostitution. Hilfsorganisationen in Österreich geben an, dass das nur ungefähr 10 Prozent „freiwillig“ machen. Wobei man da auch hinterfragen muss, was freiwillig hier heißt. Und 15 Prozent sind wirklich Opfer von Menschenhandel. Der große Rest ist ein Graubereich. Es ist auch vielsagend, dass 95 Prozent der registrierten Prostituierten in Österreich aus dem Ausland sind.

Michi: Du hast mir gesagt, dass vor allem auch Pornografie ein riesiges Thema ist. Das wird aktuell in unserer Gesellschaft eigentlich auch gar nicht negativ gesehen. Wir hängt das mit Menschenhandel zusammen? Wie soll man sich das vorstellen?

Jedida: Das hat viel mit der Nachfrage zu tun, die riesig ist. Pornos sind heute per Mausklick über das Internet verfügbar.

Michi: Ich habe gehört, dass z.B. der Umsatz von Pornografie in Deutschland höher ist als für alle Kinofilme zusammen. Warum ist die Nachfrage so groß, ohne dass es beworben wird? Wenn man sich denkt, wie viel Geld in Marketing von Kinofilmen sonst fließt.

Jedida: Ja, das glaube ich sofort. Aber niemand denkt daran, dass das alles nicht nur witzig und „sexy“ ist. Es gab bereits viele Fälle, wo aufgedeckt wurde, dass Darstellerinnen Opfer von Menschenhandel waren. Oder dass Personen entführt wurden und dann in einem Pornofilm aufgetaucht sind. Wir wissen nicht, wie es am Set zugeht oder wie die Beteiligten in der Pornografie gelandet sind. War das wirklich freiwillig? Das Problem ist, dass der Körper nicht mehr dir selber gehört, sondern wie eine Ware betrachtet und gehandelt wird.

Michi: Ich möchte mal ganz grundsätzlich eine Frage stellen. Warum ist das eigentlich so etwas Dramatisches, wenn ich mich dazu hergebe, einen Sexfilm zu drehen? Ist das nicht vergleichbar wie bei jedem anderen Film? Warum sollte man seine Geschlechtsteile nicht filmen dürfen, aber jeden anderen Körperteil schon?

Jedida: Ich glaube, es gibt da zwei Dimensionen. Zum einen ist da etwas nicht in Ordnung für die Darsteller selber. Es gibt viele Studien, die sagen, dass der Großteil der Pornofilme Gewalt enthalten. Sowohl verbale als auch physische. Auch hört man von Pornodarstellerinnen sehr oft, dass über die Grenzen gegangen wird. Heutige Pornofilme sind ja kein Blümchen-Sex, sondern es kommt wirklich zur Zerstörung des Körpers. Dazu kommt der Medikamenten- und Drogenmissbrauch, den es an den Sets gibt. Auch dazu gibt es Studien. Die zweite Dimension betrifft aber auch denjenigen, der Pornos konsumiert. Es wird eine Scheinwelt präsentiert, die ein komplett falsches Körper- und Rollenbild zeigt.

Michi: Es ist schon interessant. Sexualität ist normalerweise etwas, wozu man sich einen total geschützten Rahmen vorstellt, mit einem Partner, dem man sich versprochen hat. Weil das diesen Schutzrahmen braucht. Und hier wird das für Millionen Augen gemacht, die man gar nicht kennt. Das macht doch etwas mit einem.

Jedida: Das stimmt. Man verkauft eigentlich seine Privatsphäre und seine Sexualität. Das Material, das von dir gefilmt wird, ist dann auch ewig im Internet gespeichert. Du kommst dann ein Leben lang nicht mehr raus, auch wenn du aus der Pornografie aussteigst. Wie du sagst, Sexualität hat sehr viel mit Intimität zu tun. Das heißt auch mit unserer Seele. Man kann Körper und Seele ja nicht einfach trennen.

Michi: Denken wir an eine Vergewaltigung. Hier wird das vielleicht sehr deutlich, was das für seelische Folgen hat, wenn Sex nicht mit Liebe zusammenhängt.

Jedida: Man bekommt ein total falsches Bild von Sexualität. Porno ist nicht gleich Sex. Das hat einfach nichts mit der Realität zu tun. Nichts mit wahrer Sexualität. Es wird ein falsches Körperbild vermittelt, was sehr schädlich ist für das eigene Selbstbild. Zudem wird Pornografie grundsätzlich allein konsumiert. D.h. Sex hat nichts mehr mit einer zweiten Person zu tun, es kommt zu einer Vereinsamung.

Michi: Ab wann kommen Jugendliche im Schnitt mit Pornografie in Kontakt?

Jedida: Die größte Studie dazu spricht von elfeinhalb Jahren. Es ist nur ein Klick. Oder ein Freund zeigt dir irgendetwas am Smartphone.

Michi: Wie reagieren die Schüler, wenn ihr mit ihnen darüber ins Gespräch kommt? Merkst du, dass das viele schon betrifft?

Jedida: Manchmal hören wir echt Dinge, die total schockierend sind. Ein junges Mädchen, sie war so 12, hat mich gefragt, ob es ok ist, wenn ihr Freund sie beim Sex würgt. Das hätte er so in einem Porno gesehen und schien ihm zu gefallen. Sie konnte das überhaupt nicht einordnen. So ist bei ihr von Anfang an Sexualität mit Gewalt verbunden.

Michi: Das ist arg. Ist es heute nicht mehr so, dass Sex etwas mit Liebe zu tun hat? Ist das deiner Meinung nach schon etwas für Außerirdische? Wenn du sagst, dass Sex etwas mit Gewalt zu tun hat, dann ist das schon extrem weit weg.

Jedida: Ich befürchte leider schon. Und es wird noch schwieriger für die Kinder, die jetzt in dieser Generation aufwachsen. Das hat sich voll schnell geändert. Sicher war das Internet hier ein großer Faktor. Ich glaub nicht, dass man Sex gar nicht mehr mit Liebe verbindet, aber ich glaub schon, dass wir heute mit einem sehr viel kälteren und auch gewaltvolleren Blick auf Sexualität aufwachsen. Weil unsere Gesellschaft heute so pornografiesiert ist.

Michi: Und es betrifft prozentmäßig sehr, sehr viele.

Jedida: Ja. Darum müssen wir mehr über Pornografie sprechen. Wir müssen beginnen, das zu hinterfragen und wieder den Blick zu schärfen, was Sexualität eigentlich ist.

Michi: Dass, wie du gesagt hast, Sex keine Ware ist. Vielleicht auch, dass wir uns damit beschäftigen, was das Eigentliche und Schöne an der Sexualität ist. Sicher, gerade als Jugendlicher gibt es eine große Neugier, was Sex betrifft. Ist es überhaupt denkbar, dieser Neugierde nicht nachzugeben? Dass ich für mich sage: Ich möchte das anders leben. Wo beginnt da die Entscheidung? Was würdest du sagen, wie man sein Herz schützen kann?

Jedida: Ich glaube, es ist wirklich ein Kampf. Und eine sehr bewusste Entscheidung. Will ich Pornografie konsumieren oder will ich es nicht? Dazu braucht es Fakten. Und auch das Bewusstsein, wer diese Menschen sind, die in einem Porno zu sehen sind. In den meisten Fällen sind sie nicht freiwillig hier, bzw. hat jeder Darsteller oder Darstellerin eine Geschichte.

Michi: Deine Schlussfolgerung wäre also, dass man sich Wissen aneignet, und dann, dass man die Entscheidung trifft: Wie möchte ich leben?

Jedida: Ja, es ist hart. Aber es braucht echt diese bewusste Entscheidung. Es heißt auch, aufzustehen und Nein zu sagen. Zu sagen, hey, eigentlich ist es nicht cool, dass du ein Sexvideo in der Klasse herumschickst. Oder, hey, das will ich nicht sehen, warum zeigst du mir das? Das ist nicht easy-going. Das braucht Mut. Wenn wir aber die Argumente kennen und wissen, warum wir dafür einstehen, macht es das viel einfacher. Wer will etwas dagegen sagen, wenn man sagt: Ich will mir das jetzt nicht anschauen. Das ist für mich Gewalt und nicht die Sexualität, die ich leben will?