Text: Sebastian Cotroneo, Michi Cech

Streit mit den Eltern, Meinungsverschiedenheiten unter Freunden oder Corona-Diskussionen an jeder Ecke. Konflikte poppen auf wie ein Maiskorn, wenn es in der Pfanne zu heiß geworden ist. Sie sind irgendwie Teil unseres Lebens. Wir haben uns gefragt, warum wir uns eigentlich so gern streiten und wie wir mit Konflikten umgehen können.

„Das ist unfair!“ Wir kennen dieses Gefühl. Die Eltern lassen uns nicht so lange ausbleiben wie die unserer Freunde, und das finden wir natürlich ungerecht. Oder wir erfahren, dass die Freundinnen hinterm Rücken schlecht reden. Da kann es schon sein, dass die Emotionen hochgehen und wir einander unschöne Wörter an den Kopf werfen. Eskaliert ein Streit, kann das für alle Beteiligten ein ungutes Ende nehmen. Gute Freundschaften zerbrechen. Man redet nicht mehr miteinander.

„Das ist nicht wahr!“ Ein anderer Grund für Konflikte sind auch unterschiedliche Meinungen zu einem Thema. Wir erleben das ja zum Beispiel ganz stark gerade bei der aktuellen Corona-Diskussion. Die Menschen schaffen es fast gar nicht mehr, sachlich miteinander zu diskutieren. Die Gespräche sind emotionsgeladen und man beschimpft sich gegenseitig, nur weil man unterschiedlicher Meinung ist. Warum werden wir in solchen Meinungsdiskussionen eigentlich oft so wütend? Vielleicht kann es uns in Konfliktsituationen helfen, ruhiger zu reagieren, wenn wir einmal überlegen, warum wir überhaupt streiten.

Warum wir streiten

Hast du schon mal darüber nachgedacht, was die Situationen sind, in denen es zu Streit kommt? Es hat eigentlich immer etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Wenn wir etwas als „unfair“ empfinden, dann regt uns das auf. Das können etwa folgende Situationen sein:

  • Ich bekomme etwas nicht, was alle anderen bekommen. Oder ich muss etwas tun und andere nicht. Das ist typisch ungerecht.
  • Mein Gegenüber will eine offensichtliche Wahrheit nicht hören. Etwas in uns sagt uns aber, dass nur die Wahrheit „gerecht“ sein kann.
  • Meine Freunde sind gemein zu mir. Es steht mir aber zu, dass ich geliebt werde, genauso wie ich andere lieben soll.

Ungerechtigkeit macht uns wütend. Und das ist prinzipiell sogar etwas Gutes. Denn es führt uns dazu, uns für das Gerechte einzusetzen. Zumindest sollte es das. Es wäre schlimm, wenn uns Ungerechtigkeiten kalt lassen würden. Daher dürfen wir nicht gleich sagen, dass wir jedem Konflikt aus dem Weg gehen sollen. Auch Jesus war mal richtig wütend, als er die Händler mit einer Peitsche aus dem Tempel hinaustrieb! Die Frage bei uns ist aber, ob unsere eigene Sicht von Gerechtigkeit in den verschiedenen Situationen auch die richtige ist.

Unsere Wut hinterfragen

Jesus war der total Gerechte. Er hat alle Dinge so gesehen, wie sie sind, und konnte daher wirklich sagen, was gerade gerecht war. Wir sind aber nicht Jesus und sehen niemals alle Aspekte. Trotzdem, hinter jeder Wut steckt irgendwo ein berechtigter Grund. Wir müssen uns nur immer fragen, wo dieser berechtigte Grund liegt oder wo es nur unser eigener Grund ist. Als gefallene und gebrochene Menschen sehen wir schnell alles als unfair und ungerecht, was nicht unsere Meinung ist. Aber die Tatsache ist: Wir haben nicht immer recht. Leider. Je mehr wir lernen, die Sichtweise des anderen zu verstehen, desto ruhiger und sachlicher können wir in eine Diskussion gehen und unseren eigenen Standpunkt erklären. Das hilft dem anderen, uns zu verstehen, oder auch wir finden heraus, dass wir unsere Meinung vielleicht etwas korrigieren sollten.

Diskussion ist wichtig

Wir stellen uns eine Diskussion immer so wie einen Kampf vor und wir glauben, der andere mag mich nicht oder möchte etwas Böses, wenn er mir widerspricht. Die wenigsten Menschen stehen aber in der Früh auf und wollen etwas Böses tun. Der Theologe Johannes Hartl bringt dazu den Gedanken, dass wir uns eine Diskussion eher wie einen Tanz vorstellen könnten. Da gibt es zwei Meinungen, Spannung und ein wieder Zusammenkommen, und gemeinsam kommt man der Wahrheit vielleicht etwas näher. Eigentlich lebt unser ganzes Denken von der Diskussion. Wenn uns nie widersprochen wird, bleiben wir in unserer kleinen und vielleicht beschränkten Sichtweise stecken. 

Andere Meinungen ertragen

Toleranz wird heute sehr großgeschrieben. Oft wird Toleranz jedoch verwechselt mit der Einstellung, dass wir die Meinung des anderen immer gut finden müssen. Aber eigentlich ist Toleranz vielmehr dann gefragt, wenn wir die Meinung des anderen nicht gut oder sogar falsch finden. Toleranz kommt vom lateinischen Wort „tolerare“ – ertragen. Das heißt, es ist die Fähigkeit, es zu ertragen, wenn mein Gegenüber eine andere Meinung hat, und dass wir diese stehenlassen können. Toleranz ist auch eine Form von Gerechtigkeit. Denn ich lasse die Meinung des anderen stehen, genauso wie ich mir möchte, dass er meine Meinung stehenlässt. Das fällt aber gar nicht immer so leicht.

Je näher desto schwerer

Meinungsverschiedenheiten unter Freunden oder in der Familie fühlen sich meist viel schlimmer an als mit fremden Personen. Wenn wir jemanden nicht so gut kennen, ist es uns viel eher egal, was dieser denkt. Im Gegensatz dazu verletzt es uns sehr schnell, wenn wir mit einem guten Freund oder in der Familie einen Konflikt haben. Irgendwie tut es weh, wenn es da unterschiedliche Meinungen gibt, weil wir das Gefühl haben, dass der andere mich nicht versteht. Ist es nicht interessant, dass wir so eine Sehnsucht danach haben, mit einer geliebten Person immer mehr auch gleich zu denken, Dinge gleich zu sehen? Ein Herz und eine Seele zu sein, sozusagen?

Konflikten nicht ausweichen

Genau deshalb ist es wichtig, das Gespräch zu suchen und den Konflikten nicht auszuweichen. Denn nur so werden wir die Sichtweisen des anderen verstehen und gemeinsam eine vielleicht neue Sichtweise finden, die noch mehr der Wahrheit und der Gerechtigkeit entspricht. Ein Herz und eine Seele kann man nicht werden, wenn jeder nur auf seine eigene kleine Wahrheit schaut. Vielmehr müssen beide einen Schritt zurücktreten und versuchen zu verstehen, was in einer Sache wirklich gerecht ist. Wenn meine Eltern mich zum Beispiel nicht zu lange ausbleiben lassen wollen, können wir uns fragen, ist es gerecht, wenn Eltern noch Verantwortung für mich übernehmen? Immerhin holen sie mich ab und sind immer da, wenn mir etwas passiert. Und Eltern können sich fragen, ist es vielleicht nicht auch gerecht, wenn man in einem gewissen Alter auch immer mehr selbständig und eigenverantwortlich wird? Die Lösung wird hier in jeder Situation aber vielleicht anders sein.

Die Liebe steht noch drüber

Auch wenn Jesus auch einmal richtig wütend war, hat er uns doch vor allem eine unnormal lebensverändernde Botschaft mitgegeben, nämlich, dass die Liebe über der Gerechtigkeit steht. Die Liebe ist nicht nur fair. Sie erträgt auch das Unfaire. Wir kennen die Bibelstelle, wo Jesus sagt: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Oder: „Wenn dir jemand den Mantel wegnimmt, dann gib ihm auch dein Hemd!“ Ist das nicht völlig und total ungerecht? Darf ich mich also nie wehren, wenn ich ungerecht behandelt werde? Was Jesus aber damit sagen will, ist, dass jeder Mensch, auch wenn er Böses tut, die Liebe nötig hat. Jesus hat einfach ein übergroßes Mitleid mit dem bösen Menschen, weil er sieht, wie unglücklich dieser eigentlich ohne Liebe ist. Wenn ein Mensch ungerecht handelt, dann deswegen, weil er in seinem Leben zu wenig Liebe erfahren hat und aus irgendeinem Grund in sich gefangen ist. Wir sollen nicht die andere Wange hinhalten, weil wir das gut finden. Sondern weil der andere auch die Liebe erfahren soll. Diesen Blick nennt Gott „Barmherzigkeit“. Und es ist dieser Blick, den Gott die ganze Zeit auf jeden von uns hat.

Sich mit Gott verbinden

Trotz aller schönen Theorie: Konflikte tun weh und es passiert immer wieder, dass wir uns gegenseitig verletzen. Wir leben in einer gebrochenen Welt. Und wir alle sind gebrochene Menschen. Manche Konflikte können wir auch nicht immer aus dem Weg räumen, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen. Und manche schwierigen Umstände und Ungerechtigkeiten können wir einfach nicht ändern. Jesus hat uns am Kreuz gezeigt, wie wir in solchen Situationen damit umgehen können. Wir können dann die Schwierigkeit „umarmen“, das bedeutet nicht, zu resignieren, sondern die Situation bewusst anzunehmen, weil wir wissen, dass Gott mit uns ist und wir uns mit ihm gerade dadurch verbinden können. Klingt crazy. Aber das ist das Verrückte an unserem Glauben. Und das gibt uns inneren Frieden. Auch in ungerechten Situationen.

So kannst du mit Konflikten umgehen

Das Gespräch suchen

Das Gespräch ist der Schlüssel für friedliche Konfliktlösung. Wir müssen lernen, unsere Probleme anzusprechen. Sei es mit Freunden, Eltern, dem Lehrer oder in einer Beziehung. Warten wir nicht darauf, dass der andere immer riecht, wenn wir wo verletzt sind.

Sich vorbereiten

  • Wenn wir noch zu wütend sind, um ein ruhiges Gespräch führen zu können, dann ist es wichtig, dass wir abwarten, bis wir uns wieder beruhigt haben. Es ist ok, auf Distanz zu gehen, um Zeit zu gewinnen. 
  • Damit das Gespräch in eine gute Richtung geht, können wir uns folgende Fragen stellen: Was ist konkret mein Problem? Wie kann ich das am besten beschreiben? Warum stört mich dieses Verhalten? Wie fühle ich mich? Was war verletzend? Welche Veränderung würde ich mir wünschen? 
  • Haben wir einen Menschen, dem wir vertrauen, dann ist es hilfreich, mit dieser Person diese Fragen durchzugehen, vielleicht ein guter Freund, Eltern oder ein geistlicher Begleiter. 
  • Im Gebet Gott bitten, uns zu helfen. Auch für mein Gegenüber beten. Das bewirkt wirklich Wunder.

Zuhören

Machen wir uns bewusst, dass jeder einen anderen Background hat und Dinge deshalb oft anders sieht. Bei einem guten Gespräch hören wir zuerst auch einmal gut zu. Der Gesprächspartner darf ausreden. Wenn uns das Zuhören schwerfällt, dann können wir versuchen, das Gesagte kurz laut zu wiederholen. Damit signalisieren wir, dass wir aufmerksam sind und den Gesprächspartner ernst nehmen. Das Zuhören schenkt uns die Möglichkeit, in die Welt des anderen einzutauchen und uns in ihn hineinzuversetzen. Das erleichtert das Finden von guten Lösungen und vergrößert unsere Sicht auf die Dinge.

Empathie

Menschlich sind wir dann, wenn wir lernen, mit unseren Mitmenschen mitzufühlen. Wir weinen, wenn der andere weint, und lachen, wenn der andere lacht. Alle Menschen tragen eine Last, haben Sorgen, Nöte, Bedürfnisse und Wünsche. Oft wissen wir gar nicht, was unsere Mitmenschen gerade durchmachen. Wir sehen nur die Oberfläche. Wenn unser Lehrer immer grantig und ungeduldig ist, eigentlich ein komisches Verhalten hat, dann kann das vielleicht daran liegen, dass er gerade eine schwere Zeit in seinem Leben durchmacht. 

Sich Entschuldigen

Zum Streiten gehören immer zwei, wie man sagt. Es ist gut, sich vor Augen zu halten, dass es immer zwei Seiten gibt, und wir dürfen Fehler eingestehen. Ein einfaches „Es tut mir leid!“ kann schon unendlich viel bewirken. Du musst dich dabei nicht für etwas entschuldigen, was du als richtig empfindest. Aber überlege, wofür die dich entschuldigen kannst, zum Beispiel auch nur: „Tut mir leid, dass ich so stark reagiert habe…“ Gibst du ehrlich deine Fehler zu, hilft das auch dem anderen, sich zu öffnen und Fehler einzugestehen.

Ich-Botschaften

Wenn du dann deine Sichtweisen vorbringst, achte darauf, in „Ich-Botschaften“ zu sprechen. Sag, wie du dich fühlst, was bei dir ankommt und was du dir wünschen würdest, denn damit vermeidest du, den anderen zu beurteilen oder zu verurteilen. Sehr schnell sagen wir in einem Konflikt, was der andere gemacht hat oder machen soll, oder wie er ist: „Du bist immer so…“ Das macht einen Konflikt nur noch größer. Echte Ich-Botschaften lassen dem anderen den Raum, das Problem mit dir gemeinsam zu lösen.

Reflektieren

Nach einem Gespräch ist es gut, wenn wir darüber reflektieren. Was habe ich daraus gelernt? Was habe ich über mich gelernt? Was habe ich über meine Mitmenschen gelernt? Was wollte Gott mir damit sagen? Was war gut bei der Konfliktlösung, was war schlecht? Was kann ich besser machen?