Der neue Spielfilm „Padre Pio“ feierte am 2. September 2022 bei den Internationalen Festspielen von Venedig seine Premiere. Er spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und erzählt vom Leben des jungen Pater Pio, einem der wohl größten Heiligen unserer Zeit. Durch die Beschäftigung mit dem Glauben und der faszinierenden Geschichte des Heiligen erlebt Shia LaBeouf im Zuge des Filmdrehs eine tiefe Bekehrung zum katholischen Glauben.

Text Annkathrin Kocher

Anfänge

Shia LaBeouf wächst als Einzelkind in einer armen Familie auf. Seine Eltern sind Hippies und sein Vater, vor dessen Augen er seinen ersten Joint bereits im Alter von 11 Jahren raucht, ist Alkoholiker. Shia versucht sich schon früh in der Filmbranche mit der Hoffnung, gut Geld zu machen. In einem damaligen Interview sagt der Jugendliche: „Es ist hart. Ich denke, mein Leben wird abgesichert sein, wenn ich arbeite, und das macht alles besser.“ Die Situation ist ernst – die Familie kann kaum ihr Dasein finanzieren. Seine erste Rolle erhält Shia mit 12 Jahren im Film „The Christmas Path“. Neben seinen Besetzungen in „3 Engel für Charlie“, „In den Straßen von New York“ und „Indiana Jones“, erlangt er seinen wohl größten Beifall als Hauptcharakter in „Transformers 2“ im Jahr 2009. 2016 heiratet er Schauspielerin Mia Goth, doch 2018 kommt es zur Trennung. Es folgt eine schwierige, dunkle Zeit für den erfolgreichen Darsteller.

Lebenskrise

Trotz großer Erfolge und verdienter Millionen bleibt die Angst zu versagen sein ständiger Begleiter. Der Druck macht sich bemerkbar in einer existenziellen Krise. Er beginnt – wie sein Vater –, Trost im Alkohol zu suchen. Es folgen mehrere Strafdelikte, weshalb er sogar für ein paar Tage ins Gefängnis muss. Dann, Ende 2020, kommt der Tiefschlag: Shias kürzliche Ex-Freundin, Sängerin FKA Twigs, verklagt ihn wegen körperlichen und psychischen Missbrauchs. Shia gibt sein Fehlverhalten zu und geht in Therapie. Aber für ihn als Schauspieler war es das Aus. Niemand wollte mehr mit ihm zu tun haben. Er sagt: „Ich war nicht mehr im Geschäft. Meine Kariere war angekratzt und ich wollte auch kein Schauspieler mehr sein. Mein Leben war ein reines Chaos. Ich hatte so viele Menschen verletzt und fühlte nur noch Scham und Schuld. Das Haus wollte ich nicht mehr verlassen, ich wollte nicht mehr rausgehen.“ Wie Shia weiter berichtet, hätte er sich fast umgebracht: „Der Revolver lag schon geladen am Tisch vor mir, aber ich konnte es nicht tun. Ich wusste nicht, wie.“

Padre Pio

Die Therapie, eine Männer-Selbsthilfe-Gruppe, hilft. Auch wenn alle Freunde und Kollegen Shia den Rücken kehren, ist es seine Ex-Frau Mia, die unerwartet wieder Kontakt aufnimmt und für ihn da ist. Sie versuchen den Neustart und im März 2022 kommt Tochter Isabel zur Welt. Bei der Selbsthilfe-Gruppe lernt er Regisseur Abel Ferrara kennen, der ihn fragt, ob er P. Pio kenne. Er plane, einen Film über diesen berühmten Heiligen Italiens zu drehen, und wolle ihm die Hauptrolle vorschlagen. Shia ist sofort dabei. Rückblickend bekennt er, dass seine Motivation war vor allem sein Ego war: „Das ist die Chance, ich komme wieder ins Geschäft, hab ich mir gedacht. Es war meine Gier, mein Ehrgeiz, der mich recherchieren ließ, nicht mein Katholizismus. Vor allem, als ich dann noch erfuhr, dass Willem Dafoe im Film sein würde, war mein Ego größer denn je.“ Im Interview mit Bischof Barron sagt Shia: „Gott hat mein Ego dazu verwendet, um mich zu ihm zu ziehen. Mich von irdischen Wünschen wegzuziehen. Es geschah alles gleichzeitig. Es hätte keinen Grund für mich gegeben ins Auto zu steigen und zum Kapuzinerkloster hinauszufahren, wenn ich nicht gedacht hätte: Oh, ich werde meine Karriere retten.“

Recherche

Um sich auf die Rolle vorzubereiten, fährt Shia für mehrere Monate in ein Kapuzinerkloster in den Bergen Kaliforniens. Dort lernt er etwa Brother Jude kennen, der ihm über das Evangelium erzählt. Er sagt zu ihm: „Wenn du P. Pio spielen möchtest, musst du das Evangelium lesen.“ Shia macht willig mit und wächst in die Klostergemeinschaft hinein. Was ihn fasziniert, dass niemand etwas von ihm will. Kein Foto, kein Autogramm. Aber am meisten beeindruckt ihn: Dass die Mönche so viel und echt lachen. Wie Kinder. „Sie haben mir Witze erzählt und gelacht. Wir aßen gemeinsam, hingen zusammen ab. Zu diesem Zeitpunkt habe ich keine Freunde in meinem Leben gehabt.“ Das Lachen der Mönche ist das Erste, was ihm zum Glauben zieht.

Loslassen

Das Lesen in der Bibel führt Shia zu einem „Let go“ – „Lass los“. Er sagt: „Das ist wirklich das, was ich aus der Bibel mitgenommen habe: Lass los.“ Bis dahin habe er gedacht, er müsse alles unter Kontrolle haben. „Mein ganzes Leben lang wurde mir gesagt: Dein Leben ist dein Leben. Du musst damit machen, was du kannst. Du kannst alles erreichen, wenn du nur genug Anstrengung reinsteckst.“ Für ihn ist der Gedanke des Loslassens wie eine Befreiung. „Es war eine Zeit, wo ich so stark an einem Leben festgehalten habe, das mir aber gerade unter den Fingern zerrann. 35 Jahre hatte ich alles gemanagt und das Evangelium lud mich ein loszulassen.“

Wie geht beten?

Shia trifft auf Brother Alex. Er ist etwa im selben Alter wie er und gleichzeitig ganz tief im Gebet. Für Shia ist das Beten total neu. „Ich wusste nichts über Beten. Ich wusste nicht, was Stille ist. Ich hatte mein Handy immer bei mir, es gab mir alles, was mein Ego brauchte. Bei mir gab es keine Stille und ich wusste nicht, was Meditation bedeutet. Beten fühlte sich bis da so an, als würde ich jemanden Nachahmen, wie ein Schauspieler.“ Brother Alex fordert Shia auf, sich in die Kapelle zu setzen und einfach still zu sein. Doch seine erste Reaktion: „Ich rebelliere.“ Kurz darauf hört er in einer Predigt den Satz: „Stille führt zu liebenden Gedanken, ein liebender Gedanke führt zu einem Akt der Liebe, ein Akt der Liebe führt zum Frieden.“ Ein Zitat der hl. Mutter Teresa. Dieser Satz trifft ihn. Es beginnt sich etwas zu verändern. Shia erzählt: „Ich begann, den Rosenkranz zu beten. Das hat meinen Kopf auf Pause geschaltet, die ganzen Non-Stop Monologe in meinem Kopf. Es machte das Gebet angreifbar. Und ließ mich in der Gegenwart sein.“ Beim Beten hat er das Gefühl, er solle seine Mutter anrufen, mit der er schon lang keinen Kontakt mehr hat. Und er spürt etwas von diesem Frieden.

Entdeckung der Messe

Shia lässt sich immer mehr in die Klostergemeinschaft hinein. Die Echtheit der Mönche wirkt auf ihn. „Ich begann zur Messe zu gehen und machte die Erfahrung, dass das etwas bewirkte. Ich wusste damals nicht, ob ich getauft war, und so ging ich nicht zur Kommunion. Aber ich hatte diese tiefe Sehnsucht.“ Schließlich klärt sich, dass Shia tatsächlich bereits getauft ist, und so kann er voll bei der Messe teilnehmen. „Es fühlte sich an wie eine tiefe Begnadigung für mich. Eine Erneuerung. Ich fühlte Sicherheit. Das, was ich gesucht hatte.“ Eines der wichtigsten Dinge für P. Pio war die hl. Messe. So besteht für Shia eine Hauptaufgabe, sich mit Messe, besonders mit der lateinischen alten Messe, die zurzeit P. Pios üblich war, auseinanderzusetzen. „Wie wenn du Bob Dylan spielen willst, dann musst du auch Gitarre spielen lernen und deine Gitarre muss dein bester Freund werden. Für Pio war das die Messe. Solange ich keine emotionalen Reaktionen in der Messe hatte, fühlte ich mich nicht irgendwo nur in der Nähe, um Pio zu spielen. Und so wurde die Messe für mich wirklich, wirklich, wirklich emotional. Und dann hatte ich für mich die Erlaubnis, um Pio zu studieren.“

Connection

Shia fährt nach Italien, wo P. Pio gelebt hat, und trifft auch Menschen, die den Heiligen noch gekannt haben. Er beginnt über P. Pio zu lesen und erfährt, wie viel Leiden in dessen Leben war. Die Stigmata an den Händen waren echte Wunden, die bluteten und schmerzten. Interessanterweise fand Shia genau hier einen persönlichen Zugang zu dem Heiligen. Er kannte das. Vor Leuten zu bluten, auf der Leinwand. Das war er gewohnt. „Und hab ich auf Pio geschaut. Es war das, was er gemacht hat. Er feierte die Messe und er hat vor den Leuten geblutet. Verhüllt, nicht reklame-mäßig.“ Damit konnte er sich identifizieren. „Die Messe ist ein bisschen eine Art von Performance. Der Priester stellt die letzten Momente vom Leben Jesu dar. Und er hebt die Hostie. Das heißt nicht, dass ein Priester ein Schauspieler ist, denn das würde den heiligen Charakter kleinreden. Aber es gibt eine Art Verbindung zwischen einem Schauspieler und der Messe. Etwas, wo man total eintaucht. Das war meine erste Connection zu Pio. Er war völlig eingetaucht. Seine Messen waren ganz anders als bei anderen. Es war lebendig. Es war eine emotionale Erfahrung. Für ihn war die Messe eine ganze Reise. Am Ende hat er geschwitzt und war richtig erschöpft. Oder hat geweint. Wie ein Mann nach einem Kampf. Es war wirklich Tod und Auferstehung. So hat er echt Menschen berührt. Er hat es gefühlt. Und das hat mich als Schauspieler getroffen.“

Persönliche Reise

Für Shia wurde dieser Film zu einer persönlichen Reise. Als ob dieser Film von einer Art himmlischer Regie für ihn allein gemacht worden wäre. Das Spielen von P. Pio war für ihn mehr als nur ein Schauspiel, es berührte ihn emotional in echter Weise. Hatte er früher am Set alles unter Kontrolle haben wollen, war es auch hier für ihn ein Loslassen, das er bis jetzt nicht gekannt hatte. Mit Brother Alex, der beim Dreh mit dabei war, betete er oft zwischendurch. Shia ist heute anders. Arbeit, Geld, Erfolg, all das hat für ihn keine Bedeutung mehr, wie er sagt. Er möchte die Dinge wiedergutmachen. Und er ist dankbar seiner Ex-Freundin, die ihn verklagt hat. Sie wurde „sein Engel“, so Shia. Denn ohne diese Klage hätte er seine Reise nie begonnen.